Vor Kurzem besuchte ich eine Veranstaltung, bei der Obstbauern über die Entwicklungen im Pflanzenschutz informiert wurden. Welche Mittel wurden neu zugelassen? Und vor allem: Welche Mittel gibt es nicht mehr oder drohen zu verschwinden? Beim Zuhören drängte sich mir die Frage auf, wie lange es noch dauern wird, bis wir gar keine wirksamen Mittel mehr zur Verfügung haben. Okay, gegen Pilze steht uns in Europa noch ein relativ großes Mittelsortiment zur Verfügung, aber in Bezug auf Insekten und Milben ist die Situation in vielen Ländern wirklich besorgniserregend.
Der Pflanzenschutz soll „grüner“ werden: durch den vermehrten Einsatz der Verwirrmethode, durch natürliche Gegenspieler, durch den Massenfang von Schadinsekten und vor allem durch umweltfreundliche Pflanzenschutzmittel. Diese biologischen Mittel und Techniken werden in Versuchsanlagen und Versuchszentren entwickelt und/oder geprüft. Ich verfolge die Ergebnisse so gut wie möglich, bin aber noch fast nie auf ein „grünes“ Mittel gestoßen, mit dem Schäden auf ein mit chemischen Mitteln vergleichbares Niveau reduziert werden können. Es wird auch mit zweierlei Maß gemessen. Bei chemischen Mitteln sind wir mit einem Wirkungsgrad von 90 % unzufrieden, bei einem biologischen Mittel beginnen wir schon bei einem Wirkungsgrad von 75 % zu jubeln…
Wird dann einmal ein neues chemisches Insektizid zugelassen, wird die Begeisterung schnell gedämpft, wenn man die Bedingungen liest, unter denen das Mittel angewendet werden darf: in einem begrenzten Zeitraum, gespritzt mit strengen abdriftmindernden Maßnahmen, mit großen anbaufreien Bereichen rund um die Obstanlage usw. Jüngst stieß ich wieder einmal auf etwas Neues: ein Insektizid, das nur einmal alle 3 Jahre gespritzt werden darf… Aus der Erklärung ging hervor, dass diese Einschränkung auf das Etikett geschrieben wurde, um die Umweltbelastung zu reduzieren. Eine Behandlung einmal alle 3 Jahre führe schließlich zu weniger Umweltbelastung als eine Behandlung jedes Jahr. Als würde das die Insekten interessieren…
Das Problem wird in den nächsten Jahren immer größer werden. Nicht zuletzt durch den Klimawandel haben diverse neue Krankheiten und Schädlinge in den letzten Jahren in Europa Einzug gehalten. Gegen diese invasiven, nicht heimischen Schaderreger sind kaum oder keine wirksamen Mittel vorhanden und der Erhalt einer Zulassung eines vorhandenen Mittels gegen einen neuen Schädling kostet viele Jahre Zeit.
Mittlerweile sind Obstbauern in einigen Ländern von Ausnahmegenehmigungen und temporären Notfallzulassungen für einige unverzichtbare Pflanzenschutzmittel abhängig geworden. Oft kommen diese rechtzeitig, aber es gibt auch verschiedene Fälle, in denen eine temporäre Erlaubnis zur Verwendung eines Mittels zu spät erteilt wurde. Und da sprechen wir noch nicht einmal von jenen Situationen, in denen der Obstbauer mit leeren Händen dasteht und gar nichts zur Verfügung hat, um seine Ernte vor einer bestimmten Krankheit oder einem bestimmten Schädling zu schützen.
Meiner Meinung nach ist es höchste Zeit, diese „Pflanzenschutzmittelkrise“ auf alle möglichen Arten an die Öffentlichkeit zu bringen. Verbraucher, Entscheidungsträger und Politiker müssen sich bewusst sein, dass die Ernten gefährdet sind.
Gerard Poldervaart
Chefredakteur EFM